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Belginum war ihr Schicksal: Museumsleiterin Cordie geht in den Ruhestand

16. Oktober 2020

Morbach-Wederath. 17 Jahre lang hat Rosemarie Cordie den Archäologiepark bei Wederath geleitet. Jetzt ist sie in den Ruhestand gegangen. Im TV-Interview spricht sie über die Bedeutung von Belginum, über den Wandel in der archäologischen Arbeit und ein falsches Stück Gebäck.

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Belginum war ihr Schicksal, kann man in Abwandlung eines US-amerikanischen Films sagen. Dr. Rosemarie Cordie hat nahezu ihr gesamtes Berufsleben dem keltischen Gräberfeld, der römischen Siedlung und dem später erbauten Archäologiepark Belginum gewidmet. Sie hat dort gegraben, Funde aufgenommen und ausgewertet, geforscht sowie Ausstellungen konzipiert und organisiert. Die Tatsache, dass die 66-Jährige Ende September in den Ruhestand gegangen ist, nimmt der Trierische Volksfreund zum Anlass, mit ihr zu sprechen.

Frau Dr. Cordie, „Ein Forschertraum wird Wirklichkeit“ titelte der Trierische Volksfreund am 5. September 2002. Einen Tag später wurde der Archäologiepark Belginum offiziell eröffnet. Und Sie waren die designierte Leiterin. Wie erinnern Sie sich an diesen Tag?

Rosemarie Cordie: „Die eigentliche Eröffnung war bereits im Juni. Damals begann die Sonderausstellung „Fromm. Fremd. Barbarisch. Die Religion der Kelten.“ Ich war sehr angespannt. Schließlich musste alles funktionieren, und so manches war in dem neuen Gebäude noch nicht fertig.“

Aber vielleicht können Sie sich doch noch an ein Detail erinnern?

Cordie: „Dr. Sabine Rieckhoff, Professorin an der Universität Leipzig, hielt vor vielen Gästen den Festvortrag im Zelt. Und alle waren mucksmäuschenstill. Es war die erste Kooperation mit der Uni Leipzig. Ach, und noch eines: Es war Fußballweltmeisterschaft. Und an dem Tag lief das Halbfinalspiel Deutschland gegen Korea.“

Es gab viele nationale, aber auch internationale Kooperationen mit Einrichtungen in Tschechien, Frankreich und Österreich. Warum war Ihnen das so wichtig?

Cordie: „Die Vielzahl der Ausstellungen hätte der Archäologiepark mit seinem kleinen Team nicht leisten können. Die Kooperationen haben Lasten verteilt und einen Mehrwert geschaffen. Aber ich habe Wert darauf gelegt, dass immer Belginum und der Hunsrück-Raum vertreten war. Belginum war und ist für mich der Nabel der Welt.“

Wissen Sie eigentlich, wie viele Ausstellungen Sie im Archäologiepark gezeigt haben?

Cordie: „Ja, ganz genau. Neben der Dauerausstellung gab es 17 Sonderausstellungen, jedes Jahr eine, manchmal zwei.“

War es tatsächlich Ihr Traum, dass in Belginum ein Museum entsteht und Sie es leiten?

Cordie: „Nein. Das hat sich eher so entwickelt.“

Die Verbindung zwischen Belginum und Ihnen hat aber nicht erst 2000 begonnen, als Sie mit den Grabungen fürs Museum begannen.

Cordie: „Nein. Begonnen hat meine Arbeit für Belginum 1986, als ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Kiel das Material aus den Ausgrabungen am Gräberfeld aufnehmen und auswerten sollte. Später leitete ich eine weitere Grabung in der Siedlung und einem Tempelbezirk, diesmal als Mitarbeiterin der Uni Mainz.“

Was ist an Belginum so besonders?

Cordie: „Wederath-Belginum ist unter Archäologen europaweit und darüber hinaus bekannt. Im großen Gräberfeld sind nachweislich 2500 Menschen bestattet worden. Es diente 800 Jahre als Friedhof (400 vor bis 400 nach Christus) und das in der wichtigen Zeit der Romanisierung der Kelten. Die zugehörige Siedlung lag in römischer Zeit an einer Straße, die es in ähnlichem Verlauf bis heute gibt. Die heutige Hunsrückhöhenstraße ist 2500 Jahre alt. Und die Sorgen mit der Straße gleichen sich.“

Wieso?

Cordie: „Zum Beispiel: Unter Kaiser Caracalla gab es plötzlich ein großes Straßensanierungsprogramm. Warum? Nun, viele Verkehrsstrukturen waren reparaturbedürftig. Und die Germanen drohten, über den Rhein nach Gallien und weiter nach Westen vorzudringen.“

Außenstehende halten Grabungen ja für sehr spannend. Man gräbt und gräbt und plötzlich hält man einen Schatz in der Hand. Ist das so?

Cordie: „Nein, gar nicht. Es kann auch manchmal sehr frustrierend sein.“

Aber es gibt auch Ausnahmen. Welches war das wichtigste Fundstück, das in Belginum gefunden wurde?

Cordie: „Nun, das wichtigste Fundstück gibt es nicht. Aber ein sehr bedeutendes Exemplar war ein Gladiatorenbecher, der in Oberitalien produziert wurde, aus der Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus stammt und auf dem acht Gladiatoren mit Namen abgebildet sind. Aber die Fundstücke sind es nicht alleine…“

Was wollen Sie damit sagen?

Cordie: „Heute geht es nicht nur um die Gegenstände, die die Jahrtausende im Boden überdauert haben. Andere Wissenschaften wie etwa Archäobotanik beispielsweise versuchen, Geschichte mithilfe von Funden pflanzlichen Ursprungs zu rekonstruieren, bei der Archäozoologie ist es ähnlich. Nur geht es um Reste tierischen Ursprungs. Und mithilfe der Geomagnetik kann man ohne Grabung herausfinden, was im Boden schlummert.“

Was hat man denn tatsächlich mit Hilfe dieser Wissenschaften herausgefunden?

Cordie: „Zum Beispiel, dass die Römer anders als die Kelten nicht mehr nur für den Eigenbedarf produzierten. Es wurden in großem Stil Obstsorten – zum Beispiel Äpfel, Quitten und Kirschen – kultiviert, Schweine im Wald gemästet und Rinder gezüchtet. Damit wurden die römischen Soldaten ernährt. Und dank der Geophysik weiß man, dass die Siedlung sich Richtung Hundheim ausdehnte, Ziegel im Boden deuten daraufhin. Für die Archäologen macht das wie in der Medizin ,minimalinvasive Eingriffe’ möglich.“

Eine dieser Naturwissenschaften hat auch dazu beigetragen, wie man heute sagen würde, „Fake-News“ aufzuklären. Worum ging es?

Cordie: „Um unser Keltenringli. In einem Grab war ein kleines bisschen Nichts gefunden worden. So lautete die Expertise aus einer Bäckereifachschule. Mir ließ das Keltenringli keine Ruhe. Und mit finanzieller Unterstützung unseres Fördervereins ließen wir die Überreste chemisch untersuchen. Heraus kam: Es war kein Weizen, es war überhaupt kein Getreide, es war – Wachs.“

Wachs?

Cordie: „Ja, und dieses Wachs gibt uns jetzt die nächsten Rätsel auf. Was macht das Wachs in einem Grab? Und wie übersteht es eine Feuerbestattung, ohne zu schmelzen? Aber das ist kein „Fake“, das ist Wissenschaft.“

Nach 66 Jahren Grabungen – birgt Belginum für Sie noch Geheimnisse?

Cordie: „Natürlich birgt es für mich noch viele ungelöste Rätsel. Zum Beispiel ist bisher nur ein Prozent von Belginum ausgegraben. Wir wissen noch nicht, wo die keltische Siedlung lag. Aber das soll durch weitere Feldbegehungen geklärt werden.“

Es war nicht alles eitel Sonnenschein, oder? Zum Beispiel der Sparbeschluss der Morbacher Gemeinde 2010. Was war da passiert?

Cordie: „Der Gemeinderat Morbach hatte beschlossen, die Museen – darunter auch den Archäologiepark – im Winter fünf Monate zu schließen. Vor allem Belginum stand im Fokus, dort werde nicht profitabel gearbeitet. Ich erfuhr von diesem Beschluss aus der Zeitung. Ich konnte und kann das nicht nachvollziehen. Das für mich zur Verfügung stehende Budget für Ausstellungen und Veranstaltungen habe ich nie überschritten. Auf die Betriebskosten habe ich keinen Einfluss gehabt. Im Übrigen: Ein geschlossenes Museum erwirtschaftet weniger Geld als eines, das geöffnet ist.“

Das ist jetzt einige Jahre her. Der Archäologiepark ist im Winter immer noch zu. Inzwischen haben sie in Belginum nur noch eine halbe Stelle, 50 Prozent arbeiten sie für die Universität Trier. Haben sich die Wogen etwas geglättet?

Cordie: „Ja. Die Wogen haben sich dank der Bemühungen von Bürgermeister Andreas Hackethal geglättet.“

Im Jahr 2013 wurde eine Partnerschaft zwischen Belginum und Universität Trier begründet. Hat sich das bewährt?

Cordie: „Die Kooperation hat sich bewährt, weil wir damit Studierende in der archäologische Feldarbeit ausbilden können und archäologisches Wissen vermitteln können. Beteiligt sind auch die Universität Leipzig und München.“

Machen wir mal eine kleine Zeitreise! Was hat sich Ihrer Meinung nach im Jahr 2040 geändert?

Cordie: „Die virtuelle Schiene wird in 20 Jahren sicher eine größere Bedeutung haben. Das heißt: Für Informationen und Rekonstruktionen werden Handy und Tablets in einem deutlich höheren Maß eingesetzt.“

Sie sind seit Monatsanfang offiziell in Rente. Nach ihrem Weggang soll sich im Archäologiepark einiges ändern. Der Bereich Kultur soll von der Morbach Tourist-Information abgekoppelt und eine Kultureinrichtung im Archäologiepark geschaffen werden.

Cordie: „Ich bin gespannt auf die Entwicklung.“

Und was wird sich für Sie persönlich ändern?

Cordie: „Ich werde mehr Zeit für die Forschung und privat mehr Zeit für die Familie, Freunde, Reisen und für Kulturveranstaltungen haben.“

Zur Person

Rosemarie Cordie

Dr. Rosemarie Cordie aus Zemmer-Rodt ist 66 Jahre alt, verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Sie hat Vor- und Frühgeschichte an den Universitäten Köln und Mainz studiert. Sie promovierte 1984 in Mainz über das Thema „Das eisenzeitliche Hügelgräberfeld Bescheid, Kreis Trier-Saarburg“. Von 1986 bis 1994 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Kiel und betraut mit der Materialaufnahme der Gräber aus dem Gräberfeld Wederath-Belginum „Hochgerichtsheide“. Von 1995 bis 1999 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni Mainz an einem Projekt über „Romanisierung, Grabung in der Siedlung und dem Tempelbezirk 2 von Belginum. Von 2000 bis 2003 konzipierte und betreute sie Ausgrabungen in Belginum. Im Jahr 2002 wurde das Museum eröffnet. Von 2003 bis 2020 war sie Leiterin des Museums, inzwischen zudem wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Trier.

Extra

Der Ort Belginum, ein keltisch-römisches Gräberfeld und eine römerzeitliche Siedlung auf einer Hochfläche bei Wederath und Hinzerath hat eine tausendjährige Geschichte, die seit 1954 archäologisch erforscht wird. Das Areal verfügt neben dem Gräberfeld und der römerzeitlichen Siedlung über mindestens vier Tempel und ein Kulttheater. Eine keltische Siedlung wurde noch nicht gefunden.

Quelle: 15. Oktober 2020, Trierischer Volksfreund, Ilse Rosenschild
Foto: Ilse Rosenschild